Faszination
und Ambivalenz:
KINO: „Zwei an einem Tag“ (Originaltitel: „One Day“), 2011
DIANE
ARBUS – Fotografie
„Ich habe mir angewöhnt zu
schreiten, meinen Kopf zu erheben, die Nase ein bis zwei Zentimeter
höher zu recken, als ich es normalerweise tun würde.
Meine dünnen Finger kralle ich in
das Futter meines bodenlangen Mantels, die Absätze meiner roten
Lacklederschuhe ramme ich mit jedem Schritt kraftvoll und beständig
in die grau-schwarz gepflasterte Straße.
Mein Blick ist durch eine große
Sonnenbrille verdunkelt, ich schütze mich vor den stechenden Blicken
der anderen.
Täglich spüre ich den Backstein,
der an meinem Hinterkopf zerschellt. Alle paar Minuten.
Ich schließe die Türen der
öffentlichen Toilette.
Hinter mir ergreift mich jemand,
während ich noch versuchen wollte den schwarzen Lippenstift mit
einem Taschentuch abzuwischen.
Ich schreie – keiner bemerkt es.“
Ein Stadtbummel in einer Großstadt.
Diese ist gefüllt mit einer Masse aus
grauen Gestalten. Unter ihnen bewegt sich jemand, der unter dem Mob
hervorsticht. Er kehrt seine Persönlichkeit exzentrisch nach außen.
Dafür erntet er mit Lachern verbundene Blicke und entwürdigende
Kommentare. Anders zu sein, das bedeutet bis heute ein Außenseiter
zu sein. Das Leben auf der, von der Gesellschaft geschaffenen Insel,
ist wie mit einem nicht mehr enden wollenden Schlag auf den
Hinterkopf zu leben. Manchmal sind es Worte der Verachtung und der
Diskriminierung. Manchmal jedoch sind es die Blicke, die am meisten
berühren. Der Inselbewohner starrt zurück, es sind seine Augen, die
in solchen Momenten bemüht zusammengehaltene Stärke und
Zerbrechlichkeit vereinigen.
„Ich
bin Leben das leben will, unter Leben das Leben will.“ (Albert
Schweitzer)
Diese höchst ambivalente Emotion hat
Diane Arbus, welche am 14.März 1923 in New York geboren und am
26.Juli 1971 durch Suizid verschied, festgehalten.
In ihren Fotografien portraitierte sie
Lebensmomente von gesellschaftlichen Randgruppen und Exzentrikern in
zugleich direkter und bizarrer Weise.
Die aus einer wohlhabenden Familie
kommenden Fotografin jüdisch-russischer Abstammung, wand sich selbst
aus den familiären und gesellschaftlichen Konventionen heraus, ging
den Fluchtweg mittels der Fotografie und legte sich einen
„künstlerischen Schleier“ auf, der es ihr ermöglichte ihre
Sicht auf die Menschen durch das Auge der Kamera zur Schau zu stellen
und ihren Charakter, der eigentlich sehr schüchtern war, persönlich
zu erweitern. Arbus ging in ihrer Arbeit auf und überwand in ihr
ihre Furcht vor den Menschen.
Ihre Sichtweise auf das Spezielle
eröffnet sie dem Betrachter. Sie eröffnet ihm ihren ganz eigenen
zweiten Blick auf die Menschen, der gesellschaftliches Kategorisieren
blockiert und Zwischenmenschlichkeit zulässt.
Ihre Arbeiten vereinen die kontroverse
Emotion des Modells mit einer Idee der Verbundenheit aller Menschen,
die nach dem gleichen Prinzip funktionieren und die, trotz ihrer
individuellen Persönlichkeitsauslebung, zueinander gehören. Denn
eine Eigenschaft verknüpft uns alle: die Würde, die wir in uns
tragen.
Diese Würde gab Diane Arbus den
Außenseitern der Gesellschaft zurück, sie eröffnete neue Welten
der menschlichen Beobachtung, allein durch das Auge ihrer Kamera.
Dies erreichte sie durch die Thematisierung und künstlerische
Auseinandersetzung mit diesen, die sie ablichtete, wobei der Wille
zur offenen und unverblümten Darstellung auf beiden Seiten - auf der
der Fotografin, als auch auf der des Modells - gleichermaßen
bestand.
Arbus hat in ihrem fotografischen
Lebenswerk etwas Großartiges erschaffen: das menschliche Gefühl von
Gleichheit und Würde.
„Irgendwie
glaube ich schon, dass ich ein besonderes Gespür für Sachen habe.
Das ist schwer greifbar und es ist mir auch ein bisschen peinlich,
aber ich glaube, es gibt Dinge, die niemand sehen würde, wenn ich
sie nicht fotografiert hätte.“ (Diane Arbus)
Hoffentlich erreicht diese
Betrachtungsweise so viele Menschen wie möglich, hoffentlich lassen
in Zukunft mehr Menschen den zweiten Blick zu, hoffentlich hören
viele bald damit auf stumpf und unbedacht zu katalogisieren und
lassen sich darauf ein mehr zu beobachten, hoffentlich wird es bald
mehr Künstler wie Diane Arbus geben, die die Welt ein klein wenig
moralisch und gesellschaftlich verbessern wollen.
Hoffentlich.
Nina Esther Palme, Nürnberg November 2011
KINO: „Zwei an einem Tag“ (Originaltitel: „One Day“), 2011
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Auch
wenn der deutsche Titel anderes vermuten lässt, geht es schlicht und ergreifend
um zwei Menschen, die sich zwanzig Jahre lang zum 15. Juli durch verschieden
starke Intensität verbunden erneut treffen.
Den Startschuss stellt die Abschlussnacht von 1988 dar, als die Protagonisten Emma (Anne Hathaway)
und Dexter (Jim Sturgess) zusammen im Bett landen. Am nächsten Tag, dem 15.
Juli, trennen sich ihre Wege. Jedes Jahr sollten sie erneut an diesem Datum in
Kontakt geraten. Allerdings verfolgen beide völlig verschiedene Ziele und
entfremden sich partiell. Erst 20 Jahre nach dem ersten 15. Juli erkennen
sie, was sie während dieser zwei Dekaden verzweifelt gesucht haben.
Sehr
schnell fühlt man sich als Zuschauer in ein vorgefertigtes Romanzen-Schema
geworfen. Man wird von Jahr zu Jahr katapultiert, wobei Emma und Dexter sich
zwar äußerlich verändern, aber anscheinend über zwanzig Jahre hinweg keineswegs
Falten bekommen. Auf die Zeitgeschichte wird kaum bis gar nicht eingegangen,
weshalb man sehnsüchtig auf „typische“ Eigenschaften der jeweiligen Jahrzehnte
(vergeblich) wartet.
Außerdem
verliert der Film durch die Erzählstruktur erheblich an Spannung. Ich persönlich
konnte den letzten 15. Juli kaum noch erwarten. Den Kuchen auf 20 Muffinformen bzw.
Jahre zu splitten, ist doch ein bisschen zu viel des Guten. Enorm in die Länge
gezogen fühlt sich jeder 15. Juli mit Höhen und Tiefen einer Freundschaft bzw.
späteren Beziehung öde und farblos an.
Vorhersehbar
ist desgleichen das Ende des Beziehungs-Potpourris, als die Schicksals-Faust
Dexter das Gesicht demoliert und der kurzweiligen Glückseligkeit der Hauptpersonen
ein Ende bereitet. An dieser Stelle hört man den kleinen, amerikanischen
Moralapostel (sehr) laut aufschreien: „Seid nicht promisk! Seid fähig zu
festen Bindungen, denn es lohnt sich! Tätet ihr dies nicht, würdet ihr im
Nachhinein nur bereuen, so viel verpasst zu haben!“
Der
beziehungstherapeutische Ansatz ist einerseits nett gedacht, schlägt
andererseits fehl, da man die Liebe und Anziehung zwischen Dexter und Emma zwar
oktroyiert bekommt, aber weder spüren noch nachvollziehen kann.
Des
Weiteren schaffen Hathaway („Der Teufel trägt Prada“) und Sturgess (ansonsten
unbekannt…) nicht die Spur einer Atmosphäre, sondern wohl eher, die in diesem
Falle sinnfrei zahlenden Zuschauer nach einer Stunde im Kino dem sanften
Schlummer zu übergeben.
Fazit:
Nicht der Rede wert. (Aber wieso schreibe ich dann darüber?!)
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