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11/14/2011

MODE

Rilke: "Herbsttag"


Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. 
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren, 
und auf den Fluren laß die Winde los. 

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein; 
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage, 
dränge sie zur Vollendung hin und jage 
die letzte Süße in den schweren Wein. 

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. 
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, 
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben 
und wird in den Alleen hin und her 
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben. 

Aus: Das Buch der Bilder

MODESTRECKE IM HERBST -  
"Zwischen Sibirien und der Wüste"


OUTFIT 1:
beige-brown COS shawl, cream-colored short sleeve silk shirt, Brown braided leather belt, sepia colored velvet high waist trousers, Dark blue LEE jeans jacket with red fox fur trimmings, Red brown JOOP! Chelsea Boots. Everything vintage except shawl.


















OUTFIT 2:
Corduroy COMMA trench coat, Red brown JOOP! Chelsea Boots, white short sleeve sweater with square-cut collar, self sewn red brown long cardigan with stripe-shaped holes on the back, powder-blue/white high waist TREND trousers with leaves-design, 
green/ red/white/brown/beige colored shawl. Everything Vintage except trousers and coat.




Wie er gespeit hat, möcht' ich wissen. 








Whatever (?)

photographer: Nina Esther Palme
location: Luitpoldhain Nuremberg
model: Max-Michael Böhner
image processing: Max-Michael Böhner





OUTFIT 1


coat - vintage, hat - from a fleamarket in berlin, long skirt - vintage, golden tights - C&A, lace-up pumps - Deichmann, leather handbag - vintage









blouse - vintage, chain - s.Oliver, coat - vintage, hat - from a fleamarket in berlin


coat, long skirt and blouse - vintage, lace-up pumps - Deichmann, golden tights - C&A


chain - s.Oliver, different kinds of rings - costume jewelry-shops

 
blouse and long skirt - vintage, lace-ups pumps - Deichmann, golden tights - C&A, hat - from a fleamarket in berlin


blouse, long skirt and leather handbag - vintage, lace-up pumps - Deichmann, watch - SWATCH (old)


   OUTFIT 2



winklepicker boots - Humanic (old), high-waist jeans with basketweave - vintage, blouse - vintage, colorful wool-jacket - vintage, clutch bag with a gold chain - eBay, hairband - private


 
winklepicker boots - Humanic (old), high-waist jeans with basketweave - vintage, blouse - vintage, colorful wool-jacket - vintage, clutch bag with a gold chain - eBay, hairband - private



special heaven - from nuremberg


watch - SWATCH (old), hairband - private, golden chain - private, earring - vintage, blouse and colorful wool-jacket - vintage



colorful wool-jacket, high-waist jeans with basketweave, blouse, earring and brown leather belt - vintage, winklepicker boots - Humanic (old), clutch bag with a gold chain -eBay, golden chain and hairband - private


colorful wool-jacket, high-waist jeans with basketweave - vintage, clutch bag with a gold chain -eBay, hairband - private

photographer: Max-Michael Böhner
location: Luitpoldhain Nuremberg
model: Nina Esther Palme
image processing: Nina Esther Palme

11/12/2011

KULTUR

Faszination und Ambivalenz:

DIANE ARBUS – Fotografie


„Ich habe mir angewöhnt zu schreiten, meinen Kopf zu erheben, die Nase ein bis zwei Zentimeter höher zu recken, als ich es normalerweise tun würde.

Meine dünnen Finger kralle ich in das Futter meines bodenlangen Mantels, die Absätze meiner roten Lacklederschuhe ramme ich mit jedem Schritt kraftvoll und beständig in die grau-schwarz gepflasterte Straße.

Mein Blick ist durch eine große Sonnenbrille verdunkelt, ich schütze mich vor den stechenden Blicken der anderen.

Täglich spüre ich den Backstein, der an meinem Hinterkopf zerschellt. Alle paar Minuten.

Ich schließe die Türen der öffentlichen Toilette.

Hinter mir ergreift mich jemand, während ich noch versuchen wollte den schwarzen Lippenstift mit einem Taschentuch abzuwischen.

Ich schreie – keiner bemerkt es.




Ein Stadtbummel in einer Großstadt.

Diese ist gefüllt mit einer Masse aus grauen Gestalten. Unter ihnen bewegt sich jemand, der unter dem Mob hervorsticht. Er kehrt seine Persönlichkeit exzentrisch nach außen. Dafür erntet er mit Lachern verbundene Blicke und entwürdigende Kommentare. Anders zu sein, das bedeutet bis heute ein Außenseiter zu sein. Das Leben auf der, von der Gesellschaft geschaffenen Insel, ist wie mit einem nicht mehr enden wollenden Schlag auf den Hinterkopf zu leben. Manchmal sind es Worte der Verachtung und der Diskriminierung. Manchmal jedoch sind es die Blicke, die am meisten berühren. Der Inselbewohner starrt zurück, es sind seine Augen, die in solchen Momenten bemüht zusammengehaltene Stärke und Zerbrechlichkeit vereinigen.





Ich bin Leben das leben will, unter Leben das Leben will.“ (Albert Schweitzer)





Diese höchst ambivalente Emotion hat Diane Arbus, welche am 14.März 1923 in New York geboren und am 26.Juli 1971 durch Suizid verschied, festgehalten.

In ihren Fotografien portraitierte sie Lebensmomente von gesellschaftlichen Randgruppen und Exzentrikern in zugleich direkter und bizarrer Weise.

Die aus einer wohlhabenden Familie kommenden Fotografin jüdisch-russischer Abstammung, wand sich selbst aus den familiären und gesellschaftlichen Konventionen heraus, ging den Fluchtweg mittels der Fotografie und legte sich einen „künstlerischen Schleier“ auf, der es ihr ermöglichte ihre Sicht auf die Menschen durch das Auge der Kamera zur Schau zu stellen und ihren Charakter, der eigentlich sehr schüchtern war, persönlich zu erweitern. Arbus ging in ihrer Arbeit auf und überwand in ihr ihre Furcht vor den Menschen.

Ihre Sichtweise auf das Spezielle eröffnet sie dem Betrachter. Sie eröffnet ihm ihren ganz eigenen zweiten Blick auf die Menschen, der gesellschaftliches Kategorisieren blockiert und Zwischenmenschlichkeit zulässt.

Ihre Arbeiten vereinen die kontroverse Emotion des Modells mit einer Idee der Verbundenheit aller Menschen, die nach dem gleichen Prinzip funktionieren und die, trotz ihrer individuellen Persönlichkeitsauslebung, zueinander gehören. Denn eine Eigenschaft verknüpft uns alle: die Würde, die wir in uns tragen.

Diese Würde gab Diane Arbus den Außenseitern der Gesellschaft zurück, sie eröffnete neue Welten der menschlichen Beobachtung, allein durch das Auge ihrer Kamera. Dies erreichte sie durch die Thematisierung und künstlerische Auseinandersetzung mit diesen, die sie ablichtete, wobei der Wille zur offenen und unverblümten Darstellung auf beiden Seiten - auf der der Fotografin, als auch auf der des Modells - gleichermaßen bestand.

Arbus hat in ihrem fotografischen Lebenswerk etwas Großartiges erschaffen: das menschliche Gefühl von Gleichheit und Würde.

 


Irgendwie glaube ich schon, dass ich ein besonderes Gespür für Sachen habe. Das ist schwer greifbar und es ist mir auch ein bisschen peinlich, aber ich glaube, es gibt Dinge, die niemand sehen würde, wenn ich sie nicht fotografiert hätte.“ (Diane Arbus)




Hoffentlich erreicht diese Betrachtungsweise so viele Menschen wie möglich, hoffentlich lassen in Zukunft mehr Menschen den zweiten Blick zu, hoffentlich hören viele bald damit auf stumpf und unbedacht zu katalogisieren und lassen sich darauf ein mehr zu beobachten, hoffentlich wird es bald mehr Künstler wie Diane Arbus geben, die die Welt ein klein wenig moralisch und gesellschaftlich verbessern wollen.

Hoffentlich.



Nina Esther Palme, Nürnberg November 2011




KINO: „Zwei an einem Tag“ (Originaltitel: „One Day“), 2011

Bildunterschrift hinzufügen












Auch wenn der deutsche Titel anderes vermuten lässt, geht es schlicht und ergreifend um zwei Menschen, die sich zwanzig Jahre lang zum 15. Juli durch verschieden starke Intensität verbunden erneut treffen.
Den Startschuss stellt die Abschlussnacht von 1988 dar, als die Protagonisten Emma (Anne Hathaway) und Dexter (Jim Sturgess) zusammen im Bett landen. Am nächsten Tag, dem 15. Juli, trennen sich ihre Wege. Jedes Jahr sollten sie erneut an diesem Datum in Kontakt geraten. Allerdings verfolgen beide völlig verschiedene Ziele und entfremden sich partiell. Erst 20 Jahre nach dem ersten 15. Juli erkennen sie, was sie während dieser zwei Dekaden verzweifelt gesucht haben.

Sehr schnell fühlt man sich als Zuschauer in ein vorgefertigtes Romanzen-Schema geworfen. Man wird von Jahr zu Jahr katapultiert, wobei Emma und Dexter sich zwar äußerlich verändern, aber anscheinend über zwanzig Jahre hinweg keineswegs Falten bekommen. Auf die Zeitgeschichte wird kaum bis gar nicht eingegangen, weshalb man sehnsüchtig auf „typische“ Eigenschaften der jeweiligen Jahrzehnte (vergeblich) wartet.
Außerdem verliert der Film durch die Erzählstruktur erheblich an Spannung. Ich persönlich konnte den letzten 15. Juli kaum noch erwarten. Den Kuchen auf 20 Muffinformen bzw. Jahre zu splitten, ist doch ein bisschen zu viel des Guten. Enorm in die Länge gezogen fühlt sich jeder 15. Juli mit Höhen und Tiefen einer Freundschaft bzw. späteren Beziehung öde und farblos an.
Vorhersehbar ist desgleichen das Ende des Beziehungs-Potpourris, als die Schicksals-Faust Dexter das Gesicht demoliert und der kurzweiligen Glückseligkeit der Hauptpersonen ein Ende bereitet. An dieser Stelle hört man den kleinen, amerikanischen Moralapostel (sehr) laut aufschreien: „Seid nicht promisk! Seid fähig zu festen Bindungen, denn es lohnt sich! Tätet ihr dies nicht, würdet ihr im Nachhinein nur bereuen, so viel verpasst zu haben!“
Der beziehungstherapeutische Ansatz ist einerseits nett gedacht, schlägt andererseits fehl, da man die Liebe und Anziehung zwischen Dexter und Emma zwar oktroyiert bekommt, aber weder spüren noch nachvollziehen kann.
Des Weiteren schaffen Hathaway („Der Teufel trägt Prada“) und Sturgess (ansonsten unbekannt…) nicht die Spur einer Atmosphäre, sondern wohl eher, die in diesem Falle sinnfrei zahlenden Zuschauer nach einer Stunde im Kino dem sanften Schlummer zu übergeben.


Fazit: Nicht der Rede wert. (Aber wieso schreibe ich dann darüber?!)

11/05/2011

LEBEN


Cos-Label

COS-Shop-Eröffnung

Die hochpreisige und qualitativ hochwertige(re) H(ennes)&M(auritz)-Tochter öffnete gestern (25.11.2011) um 12.00 Uhr nach einem Spannungsmarathon der letzten Wochen ihre Pforten in Nürnberg. Auf avantgardistische Schnitte mit einem raffiniert versteckten Rückbezug auf die Mode vergangener Jahrzehnte setzt COS seit 2007.
Man betritt die Filiale um 13.30 Uhr, da wir die befürchtete Eröffnungsschlacht umgehen wollten. Weit gefächert, steril und üppig erscheint das Sortiment, das sich über zweieinhalb bzw. knappe drei Stockwerke hin erstreckt. Was uns beide sehr verwunderte, war die anwesende Klientel: Nur schätzungsweise 10% gehörten der eigentlichen Collection-of-Style-Kundschaft an, die man sonst in München oder Berlin in den jeweiligen Stores antraf: Jung bis maximal 30 Jahre alt, blass, auf stilvollen Purismus und gnadenlose Eleganz bedacht. Uns erschlug das glatte Gegenteil: „City-Girl“-Shopaholics mit „Louis-Vuittons“ (… ich erspare uns jegliche weitere Schilderung) wühlten, staunten und fraßen gratis Lebkuchen neben „Gerry-Weber“-Großmüttern. Angeblich gab es auch Glühwein, wobei der Zug scheinbar bereits ohne uns abgefahren, oder der zuständigen Catering-Firma „Lehrieder“ der Nachschub ausgegangen war - nach anderthalb Stunden?! Kundenbetreuung gab es keinerlei, wie am ersten Tag auch nicht anders zu erwarten, sondern vielmehr ein Auf-eigene-Faust-Durchschlagen. Die Atmosphäre war dennoch sehr angenehm. Nicht zu dicht zusammen gepfercht breitete sich das Angebot ansehnlich aus. Witzig war, dass es meine 3€-Vintage-Bluse, die ich trug, für 49,90€ bei COS gab, und Ninas 5€-Glockenform-Mantel (Vintage) für 175€ an der Stange hing. Irgendwie überrascht mich dieses Gebaren der zuständigen Designer ganz und gar nicht, wenn ich an H&M denke, wo „Lanvin“-Hüte einige Monate nach dem Erscheinen in der „VOGUE“ minimal abgewandelt für ein Zehntel des Preises im Laden stehen…

Nun denn. Der Besuch hat sich auf amüsante Weise gelohnt und wir werden sicherlich wieder vorbeischauen.

xoxo

Max-Michael Böhner




Homosexualität und Transgender an Schulen
- noch immer ein Tabu?!

Durch Zufall stieß ich auf eine Veranstaltung mit diesem Titel, initiiert von den Grünen im „Eckstein-Haus“, Nürnberg. Weil ich ein Jahr zuvor, als ich meine Facharbeit („Das Bild von Homosexuellen am Labenwolf-Gymnasium. Eine Diskursanalyse.“) ablieferte, kaum glaubte, dass sich sonst noch jemand großartig Gedanken über dieses Thema machen würde, auch deshalb, weil ich kaum passende Literatur zur Facharbeit heranziehen konnte, war ich besonders erstaunt, dass sich der Raum im Eckstein am 10. 11. rasch füllte.

Zum Vortrag eingeladen waren Andreas Unterforsthuber von der Koordinierungsstelle Gleichgeschlechtliche Lebensweisen, München, und Heiko Rohde von der AG LesBiSchwuler Lehrer_innen in Hessen der GEW (Berufsschullehrer).
Podiumsgäste, die nachfolgend diskutierten, waren Gerda Reuss (offen lesbisch lebende Hauptschullehrerin), Inge Breuling (Mitglied der Elterngruppe beim schwullesbischen Zentrum Fliederlich e.V., Mutter eines homosexuellen Jungen), Kerem Dykast (Stadtschülersprecher, selbst homosexuell), Peter Gruber (Rektor der Thusnelda Schule) als auch Sandra Wissgott (transgender lebende Rektorin). Die Moderation übernahm Dieter Barth (Veranstalter des CSD, Nürnberg, selbst homosexuell).

Als „bitter notwendig“ deklariert begann der Abend mit dem Vortrag von Herrn Unterforsthuber, der eine Münchner Studie („Da bleibt noch viel zu tun…!“)  vorstellte, bei der 800 Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendhilfe vor einem Jahr zur Situation von schwulen, lesbischen und transgender Kindern, Jugendlichen und Eltern befragt wurden.
Erschreckend war, dass bei eben dieser Befragung 33,1% davon ausgingen, sexuelle Identität habe keine Relevanz. Knapp 70% stünden einer Fortbildung offen gegenüber. Ebenso hatten 70% der Teilnehmer das Thema binnen der letzten zwölf Monate kein einziges Mal thematisiert.
Insgesamt ist zu sagen, dass die Fachkräfte zwar eine ethisch einwandfreie Haltung an den Tag legen, aber weitaus mehr getan werden muss, um eine Öffentlichkeit für das Thema „Homo- und Transsexualität“ zu schaffen und somit den Jugendlichen das Coming-Out während der ohnehin schwierigen Identitätssuche während der Pubertät zu erleichtern.

Heike Rohde setzte mit seinem Referat fort, was ganz im Gegensatz zum vorherigen nicht professionell von einer repräsentativen Studie, sondern stark von seiner persönlichen Sicht der Dinge als homosexueller Berufsschullehrer geprägt war.
Einerseits herrsche eine weite Akzeptanz im Alltag, was auffällt, wenn sich Prominente oder Politiker outen, andererseits eine ebenso gewaltige Diskriminierung bzw. schlicht und ergreifendes Totschweigen an Schulen. Woher diese Diskrepanz stammt? Personen des öffentlichen Lebens sind auf einer anderen Ebene, weiter entfernt von einem selbst. Sobald Homosexuelle oder Transgender ins persönliche Blickfeld rücken, gerät die Scheinakzeptanz ins Wanken und mündet in Diskriminierung.
Des Weiteren führte Herr Rohde deutlich vor Augen, wie Homosexualität noch heutzutage in aktuellen, bayerischen Schul-Biologiebüchern gehandhabt wird: Sie wird in den Topf der „Sonderformen der Sexualität“ gepfercht, wo sie sich neben ihren Nachbarn wie Pädophilie, BDSM und Exhibitionismus (natürlich völlig fehl am Platz) wiederfindet.
Abschließend stellte Herr Rohde zwei Wege vor, der Unkenntnis und dadurch Diskriminierung an Schulen den Garaus zu machen: Der offensive Weg wäre, eine komplette Woche unter dem Motto „Homosexualität und Transsexualität“ in der Schule durchzuführen. Oder bspw. einen Themenabend zu gestalten. Allerdings wäre hierbei die Gefahr, dass sich manch Schüler oder Lehrer betreffs eines nach wie vor sensiblen Themas in die Ecke gedrängt fühlen könnte. Ein Aufklärungsmarathon mag stattfinden, zielt aber wohl, da es auch hier eine „sensible Phase“, gleich „interessierte, aufnahmefähige“ gibt, die von Kind zu Kind verschieden ist, größtenteils am eigentlichen Ziel, nämlich der Akzeptanz, vorbei.
Defensiv, aber sinnvoller erscheint der zweite Weg: Gemeint ist eine kontinuierliche Integration des Themas in den Unterricht. Statt „Mama und Papa kaufen zwei Äpfel für jedes ihrer Kinder. Wie viele Kinder haben sie, wenn sie zehn Äpfel kaufen?“ könnte man Aufgaben mit „Papa und Papa“ oder „Mama und Mama“ gestalten. Dasselbe gilt natürlich automatisch für alle anderen Unterrichtsfächer. In Deutsch könnte man problemlos (nicht nur Sach-)Texte über bzw. mit Homo-/Bi-/Transsexuelle(n) einbringen, in Biologie Homo- und Transsexualität als völlig gleichgestellte Sexualität darstellen, in Musik und Kunst herausragende homosexuelle/transgender Künstler(innen)-Persönlichkeiten erläutern…
Um nur ein Beispiel aus meiner eigenen Schulvergangenheit zu erwähnen: Im Grundkurs Geschichte (2009 bis 2011) wurde während der Besprechung des Nazi-Regimes kein einziges Mal auf die Ermordung zig tausend Homosexueller eingegangen. Alle anderen „Minoritäten“, die der Bloßstellung und Ermordung in KZs oder auf offener Straße zum Opfer fielen, wurden erwähnt (Behinderte, Sinti und Roma, Linke etc.). An dieser Stelle hätte man dringend den „rosa Winkel“, den Paragraphen 175§ und den weiteren Verlauf der Geschichte Homosexueller schildern müssen.

Auf die beiden sehr aufschlussreichen Referate folgte die Podiumsdiskussion mit Herrn Rohde, Herrn Unterforsthuber und den anderen geladenen Gästen.
Frau Reuss meinte, dass der Sachverhalt der Diskriminierung Homosexueller bzw. das Thema an sich auf ihrer Hauptschule totgeschwiegen würde. Stadtschülersprecher Dykast äußerte sich zum prinzipiell schlechten Klima an Nürnberger Schulen. Sein Outing wurde allerdings positiv aufgenommen. Um die Meinung der transgender Lebenden einzubringen, berichtete Frau Wissgott über ihre Geschlechtsumwandlung, welche von allen SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen durchweg akzeptiert wurde. Was sie andererseits zugeben musste, war, dass ihre Erfahrung durch die Machtposition als Schulleiterin nicht repräsentativ ist.
Noch niemals und nirgends mit Homo- oder Transsexualität in der Schule konfrontiert worden war Rektor Gruber, was nur zeigt, welch geringfügigen Raum die vorhandene Problematik einnimmt. Frau Breuling gestand ihre Panik, als sich ihr ihr Sohn offenbarte. Nämlich die Panik, was wohl Nachbarn, Verwandte und Bekannte über das Schwulsein des Sohnes denken würden. Auch benannte sie eine „Angst vor dem Unbekannten“.

Als Ansatzpunkte und Ziele wurden die folgenden gesteckt:
Man solle Eltern, LehrerInnen und SchülerInnen mehr Informationen zukommen lassen, indem man Homo- und Transsexualität generell in den Unterricht einbaut und sie damit in die Normalität rückt. Betreffs der Kinder könne dies bestenfalls bereits ab dem Grundschulalter mit Pflichtlektüren o.ä. geschehen, da jene in den jungen Jahren noch am unvoreingenommensten sind. Obendrein solle mein eine Atmosphäre des Vertrauens an der Schule schaffen, damit das Sprechen über die eigene Sexualität mit Freunden/-innen und LehrerInnen an der Schule leichter falle.
Letztlich entschieden sich hiermit alle Anwesenden gegen die „Hau-Drauf-Methode“ und für die kontinuierliche Integration und Aufklärung.
Was in den über zwei Stunden allerdings ungesagt und unbetrachtet blieb, ist die nach wie vor auf Homosexualität haftende verbrecherische Staubschicht als auch die Frage, wie es homosexuellen oder transgender Migranten erginge.


Als ich abends vom „Themenabend“ doch stark wach gerüttelt nach Hause kam, mir beinahe schon die Augen zufielen, fiel mir zufälligerweise die Sendung „Scobel: Tabu Homosexualität“ auf 3Sat ins Auge. Gastgeber Gert Scobel hatte den homosexuellen Theologen und ehemaligen Priester David Berger, die Psychologin Melanie Steffens und die homosexuelle Margarete Voll von der Allianz geladen. Der Grundtenor der Sendung war ähnlich, wie zwei Stunden zuvor: Wie kann sich eine größere Akzeptanz gegenüber Homosexualität entwickeln?
Zunächst wurde die Geschichte der Homosexualität umgreifend und anschaulich ausgeführt. Im Antiken Griechenland war die Knabenliebe vollständig gesellschaftlich akzeptierter Bestandteil. Als das Christentum aufkam, wurden Homosexuelle als Todsünder und Sodomiten betitelt und bis ins 18. Jahrhundert verbrannt. Im Deutschen Kaisserreich wurde Homosexualität mittels des Paragraphen 175§ mit Gefängnis bestraft. Ungeachtet dessen erreichte sie in den 20er Jahren in Künstlerkreisen eine Blüte, weshalb stellenweise eine Entkriminalisierung gefordert wurde. Mit Hitlers Machtergreifung von 1933 wurde der Paragraph verschärft und Homosexuelle wurden, wie vorhin bereits erwähnt, in KZs zu tausenden ermordet. In der bigotten Nachkriegszeit dachte man weiterhin, dass Homosexuelle krank und verbrecherisch seien, weshalb man bis in die 60er Jahre versuchte, der Pseudo-Krankheit mit Elektroschocks oder Gehirn-OPs „beizukommen“.
Der Lichtblick nahte erst 1969: In der US-amerikanischen „Christopher Street“ finden tagelange Demos statt und im selben Jahr besinnen sich die Deutschen, dass Homosexualität unter erwachsenen Männern (!) nicht mehr strafbar ist. In den 70ern tritt allmählich auch die lesbische Frauenbewegung in den Vordergrund. Der große Rückschlag in den 80er Jahren ist AIDS: Homosexualität gerät wiederum in Verruf als Auslöser für die Krankheit. Der Paragraph wird letztendlich 1994 abgeschafft.

Nach dieser Kurzhistorie berichtete David Berger vom Entzug seiner Lehrerlaubnis des Religionsunterrichts durch die Kirche nach seinem Outing, wobei hier anzumerken sei, dass mindestens 25 bis hin zu 40 Prozent der Priesterschaft homosexuell lebt. Dann wurde auf den Fußball, die US-Army und die deutsche Bundeswehr eingegangen, woraufhin sich schnell zeigte, wie hartnäckig Homosexualität in den Köpfen der Menschen als „Problem“ herumspuken kann… Die christliche Kirche sieht Homosexualität als Pervertierung des Schöpfungsplans, wobei gerade im Mittelalter Priesterseminare Zufluchtsorte für Homosexuelle boten. Am heutigen Tag kämpft die katholische Kirche mit aller Gewalt um ihre Rolle in der Gesellschaft. Eigentlich sollte man müde lächeln, wenn der Papst demagogisch gegen Homo-, Trans- und Bisexuelle wettert, was aber doch nicht spurlos an einem vorüber zieht, weil die Kirche eben nach wie vor einen ungeheuren, völlig antiquierten Machtanspruch erhebt/erheben will. Nicht nur die Ablehnung Homosexueller durch den Papst, oder die historische Vergangenheit, sondern auch die in derselben Weise verrotteten Geschlechterrollen von Mann und Frau fördern die Ablehnung.
Ein Weg zu Respekt und Akzeptanz an Schulen führe über die „Sichtbarmachung“ der LehrerInnen, da dies Denk- und Lernprozesse seitens der Eltern und SchülerInnen in Gang setze. Nach diesem Exkurs wurden noch alle auf Homosexuelle bezogenen gängigen Klischees und Vorurteile auf den Tisch geknallt, die ich uns hier ersparen möchte.
Das Schlusswort der Show war, dass der Staat und ebenso Konzerne vorbildlich vorgehen, deshalb die Kirche zurechtstutzen müssten. 

Egal ob Sendung oder der Abend im Eckstein: Beides war sinnvoll, wenn auch partiell lückenhaft, was die Lösungswege und Darstellungen angeht. Die Sendung kann man auf der 3Sat Online Mediathek anschauen, was sich allemal lohnt. Auch wenn es nur kleine Schritte sind, bin ich froh, dass immerhin diese gegen die ständige Diskriminierung, Tabuisierung, Kriminalisierung und Klischeeisierung von Homosexualität stattfinden.

Letztlich bleibt nur noch zu sagen, dass man sich im Jahr 2011/beinahe 2012 nicht mehr outen müsste, sondern einfach einen gleichgeschlechtlichen Partner überall mithin nehmen können müsste, ohne dumm-dreist angepöbelt oder mit Schweinsäuglein angestarrt zu werden.
Denn Homosexualität ist kein Problem, sondern wird seit jeher nur zu einem gemacht.


Nachtrag (26.11.): Wie ich gestern von Frau Kazmeier (Fraktionsvorsitzende der Grünen, Nürnberg) erfuhr, berichtete keine einzige Nürnberger Zeitung über den Abend und konnte somit das Thema ein weiteres Mal umgehen...

Max-Michael Böhner, November 2011



Die herzliche endliche Unendlichkeit

Wie viel muss man verlieren,
Wie viel muss man investieren, um zu gewinnen?
Was gibst du mir, während ich dich überhäufe,
Ausgenommen all die Herzlichkeit,
Ausgestopft wie ein totes Tier
Und karg und trist wie Brachland im Nimmerland?

Was bleibt mir, während ich mich in diesen Stunden vergesse,
Allein sinnend nach dir,
Nach unserer realen Vergangenheit
Und unserer unvorstellbaren gemeinsamen Zukunft? -
Ein Meer der Tränen, allein in mir.

Ich such' die Stille, die mir zuweilen vergönnt.
Meist aber summt ein Oberton mit in meinem Ohr.
Er ist kaum hörbar, er stellt sich meist verschleiert dar.

Die Suche nach Antworten,
Die endlich währende Suche nach einer besseren Zeit,
Die Mündung in eine Flucht.
Wohin sie mich führte?
Zugleich weit getrieben, wie Vieh,
In die unendlichen Weiten der Länder der toten Herzen
Und ebenso an den Anfang, als auch an den Anfang des Endes.

Es stimmt, ich floh.
Es stimmt, dass man in mir versank,
während ich, wie der Apfel, mich selbst verschlang.
Sinken hat etwas Friedliches: es macht süchtig und es macht krank.
Ich bin so unheimlich schnell gerannt, ganz blind war ich.
Schaulustig das Herz mit Vakuen gefüllt,
Auf den Moment wartend, wo es zerplatzt.

In mir, da hat sich etwas vergoldet, etwas von unbeschreiblichen Wert.


Nina Esther Palme, November '11

photo by Nina Esther Palme




PROSAISCHE LYRIK im November ♥

"Rosentod"

Vor ein paar Jahren war der Übergang vom Winter zum Sommer
Nicht so unangenehm kalt.
Nicht so wie dieser: abrupt und bitter.
Überraschend riss ich die Augen auf
Vom Schauer der Winterwoge zurückgeprellt.
Und dann fühlte ich die Einsamkeit,
Sie gesellte sich zu mir, wie ein ängstliches Kind,
Das sich zu seiner Mutter kauert und ihren Mantel mit grünem Rotz überzieht,
Weil es ohne Maß heulen muss.
Vor ein paar Jahren war es der fließende, unmerklich kälter werdende Übergang
Zum Winter und ich coconähnlich verpackt
Im Wintermantel der Herzlichkeit.
Man spürte eine eher emotionlose Veränderung im Innern,
Aber das gute Stück war

- Trotz der Tatsache, das es an den Schultern viel zu groß war -

Stärker.
Es wärmte und das war mehr als genug.
Der Winter vor diesem war es, der mir die Augen öffnete.
Er war nicht sonderlich kalt.
Aber irgendwie leer.
Glückleer und angsterfüllt.
Demnach doch irgendwie voll. Viel zu voll.
Ich befinde mich auf einer Straße.
Orange-grünes Licht ätzt sich in meine Glieder,
Hinter jeder Hecke versteckt sich ein Mann,
Fünf an der Zahl und jeder mit einem Messer lauernd dahinter.
Unverschämt grinsen sie.
Sie erfreuen sich daran, mich in meinem theatralischen „Winterwonderland“
Zu betrachten, sie sehen, wie der Stift über das Papier huscht,
Deuten auf jedes Wort, deuten es jedoch nicht, weil sie einfach
Keine Ahnung haben.
Keine von mir, keine von meinem Symbolismus,
Keine von diesem bitterkalten, bitteren Winter,
Der so wesentlich kälter ist als der vor ein paar Jahren
Mit der merklichen Veränderung der Temperatur im Innern.

Nina Esther Palme, November '11

photograph by Nina Esther Palme




Theater

Personen:
- Nummer  1
- Nummer 2
- Nummer 3
- Nummer 4

1. Akt, 1. Szene

Alle vier Personen oder ähnliches sitzen, stehen, liegen, lungern, fallen in, laufen, rennen, stolpern, stolzieren, wackeln, tanzen, promenieren, schleichen, torkeln, kriechen durch den Raum. Der Raum ist ein Raum. Kein Haus, keine Garage, kein Saal, keine Wohnung, kein Kellerverließ. Eben nur ein Raum. Eventuell mit einem Stuhl, einem Tisch und einem Bett darin, da eben solches die meisten Räume charakterisiert, oder auch nicht.

1: Hallo!

2: Hallo!

3: Hallo!

4: Hallo!

1: Und genau deshalb meine ich, dass man niemals unhöflich sein darf.

4: Eben. Immer dümmlich grinsen und ‚Hallo‘ sagen.

2: Habt ihr auch noch so einen Kater von gestern Nacht?

3: Ja, aber was soll man dagegen machen? Weniger trinken? Haha :D

1 sieht 4 an:  Hättest du Lust mit mir zu schlafen?

4: Gerne. Hier und jetzt gleich? Oder später bei mir oder bei dir?

1: Mich würde es jetzt reizen.

4: Okay, [2 und 3 zugewandt] dann macht mal das Bett frei und schaut kurz weg, so lang wird es nicht nicht dauern, es geht sonst auch immer schnell zur Sache.

2 und 3: Kein Problem. Wir machen den Champagner auf!

1 und 4 schlafen miteinander auf dem Bett, während 2 und 3 genüsslich Champagner trinken, nein, süchtig in sich hinein schütten.

2: Was hältst du eigentlich von meiner neuen Hose?

3: Ich finde, sie steht dir nicht besonders.

2: Blödes Arschloch. Lass das mal meine Sache sein.

3: Du hast doch nach meiner Meinung gefragt?!

2: Ja, aber ich wollte die geschönte, unwahre hören. Innerlich ist mir bewusst, wie hässlich die Hose ist, deshalb wollte ich einen Euphemismus verspüren, damit ich mich selbst betrügen kann.

3: Nun gut, sie steht dir exzellent. Du siehst ganz abgemagert darin aus!

küsst 3: Du bist ein Schatz. Deine Geschlechtsteile ziehen mich magisch an. Gib her! greift 3 in die Hose und unter das Oberteil

3: Wenn das so weitergeht, kann ich mich als Hedonisten bezeichnen. Alles ist perfekt. Auch du und dein makelloser Körper. [nuschelt: auch wenn die Hose die überflüssigen zwanzig Kilo nur noch weiter betont]

2: Ich hätte nie gedacht, wie viel Spaß es macht, zu leben. Und damit meine ich das wirkliche Leben. Nicht von anderen gelebt werden, mit einem Chef, oder früher auf der Schule, dann im Studium von Profs… Sie alle haben mich gelebt. Nun lebe ich mich selbst. Und so, wie ich nach meinem Gutdünken entscheide.

3: Ja ja, red‘ du nur. Bla bla bla. Ich höre gar nicht mehr hin. Wollen wir nun endlich ficken, oder hast du dir es in einem Laufe eines philosophischen Anfalls anders überlegt, du Schwein?

2: Fick dich selbst. Das waren drei sinnvolle Sätze, nicht mehr und nicht weniger. Du willst nur ficken. Kannst dich echt ins Knie ficken. Du hast mit deinem Hedonismus begonnen. Nur deine Schuld.

3: Gut, ich vögel‘ dich nicht so schnell wieder. Das kann ich ohne Brimborium auch alleine. Das macht genauso viel Spaß. Befriedigt sich selbst. Langsam, schneller, kommt. ORGASMUS!

1 und 4 zünden sich eine Zigarette – nein, Unsinn, zwei Zigaretten – im Bett an, nachdem beide vom Lustspiel gebeutelt daliegen.

2: prustet, wie wenn man sich verschluckt: Ihr wisst doch, dass ich nicht rauche. Und den Qualm nicht ertrage!  Egomanisches Dreckspack!

3: Jetzt wirst du gefickt, metaphorisch ausgedrückt. Hahaha. Du wirst gelebt. Strafe für Nichtfick mit mir.

2: immer noch wie mit Tuberkulose keuchend, spuckend und röchelnd: Das kriegst du zurück, Arschgesicht!

1: Hört doch auf. Es lebt sich leichter, wenn man raucht. Das entspannt die Nerven. Belastet den Geldbeutel. Aber Genuss und Sucht gewinnen. Apropos: Wie stehen unsere und eure Finanzen?

4: Ich müsste mal wieder einen Kontoauszug holen. Mittlerweile habe ich den Überblick verloren.

2: hust hust hust: Gut, vermute ich.

3: Dito. Oder grob so ähnlich, in dem Dreh.

1: Ja, meine ebenfalls. Hoffe ich. Nein, Unsinn: befürchte ich. Wollte ich sagen.

4: Meinst du wohl, wir steuern gen Bankrott?

1: Haha, nein, nur, dass ich es nicht haar genau weiß. Und dass ich das bald, wenn ich Zeit habe, überprüfen werde.

4: Ach so, dann ist vielleicht ja alles in Ordnung. [zu 3] Magst du mir auch eine Flasche Champagner reichen? [3 steht auf, gibt ihr eine] Danke, du Engel!

3: Gerne, Schatz. Es gibt doch nichts Schöneres, als einen gelungenen Tag so zu beenden.

4: Danke, Schatz.

1: Der Sex war gut. Prickelnd. Wie der Champagner.

4: Danke!

1: Wieso danke? Es war auch zur Hälfte meine Leistung!

4: Das nächste Mal liegst du oben und leistest alles.

1: Lügenbold! Das ist nicht anstrengender. 50% der Arbeit eben.

4: Probieren wir es einfach das nächste Mal so aus.

1: Sex soll Spaß machen, befreien. Vom Alltag. Keine Diskussionen aufwerfen.

4: Du hast damit begonnen. Nur weil du eifersüchtig bist. Weil ich nämlich alle anderen
haben kann. Zumindest die anderen zwei in diesem Raum.

1: Gut. Mich nicht mehr. Für dich war es scheinbar ja nur Arbeit und Anstrengung. Fick die anderen beiden.

4: Werde ich. [zu 2 und 3] Habt ihr Lust, ein bisschen zu reden?

2: Gerne.

3: Klar, wieso nicht.

4: legt sich zu 2 und 3 ins Bett. Sie liebkosen. Ficken.

1: Welch Schmach für mich! Oh, mir bricht das Herz. Hahaha.

4, 2 und 3 stöhnen.

1: Ja, wie ich immer prophezeit habe.

4: So, ich werde nur mal schnell ins Bad huschen. Verlässt das Zimmer durch eine seitliche Tür.

2: Oi, ich brauche mehr Champagner.

3: Gute Idee! Ich hole schnell einen. Öffnet ihn. Schenkt allen nach. Auf uns!

1: Danke. Wisst ihr, was ich auf Facebook gepostet habe? Dass ich in einer Beziehung sei. Nur um nicht von Tonnen von Menschen aus dem Gruselkabinett angegraben zu werden.

3: Ja, das ist das Beste. Mache ich auch manchmal. Allerdings ist mir aufgefallen, dass mich nun viel viel weniger Leute anmachen als zuvor, weil sie denken, dass ich wirklich in einer Beziehung sei.

4: kommt zurück und umarmt alle, nimmt sein Glas, reckt es in die Höhe und brüllt Ich liebe euch alle. Egal, was ist. Mit euch kann man immer so viel Spaß haben!

2: Richtig. Ich liebe euch. Und sonst niemanden!

3: Manchmal möchte ich mich umbringen. Es zum Kotzen langweilig. Steckt sich den Finger in den Hals, würgt, kotzt. Ich bin eh viel zu fett! Mich ekelt es vor mir selbst! Kotzt weiter.

1: Igitt, magst du das nicht wo anders machen? Widerwärtig…. Das macht mich nervös…. Reißt sich Haare von den Armen und vom Kopf ab, frisst sie. Würgt wie eine Katze.

2: Wohin soll das alles führen? Ich bin hier doch der Einzige, der alles kann. Ihr könnt alle nichts. Nullrunden, Nieten, Niemande seid ihr!

4: Klar, rühm‘ dich nur mit allem. Mit allem, was du eigentlich nicht draufhast.

3: macht eine kurze Pause vom Kotzen, wischt sich mit dem Oscar de la Renta Pullover über den bröckligen Mund Hört doch auf, ihr macht mir langsam echt Angst!

1: Mit Haaren im Mund Ich hasse euch. Ihr macht mich depressiv. Und irre. Seid kein guter Umgang für mich.

2: Sehe ich heute nicht wunderbar aus? Ich bin von Natur aus so schön dünn. Muss nicht dafür kotzen.

Dylans „When the ship comes in“ ertönt in ohrenbetäubender Lautstärke.

Alle krümmen sich vor Schmerzen, halten sich die Ohren zu, schreien wild und toll durcheinander. Wälzen sich auf dem Boden, rammen sich die Fäuste in die Bäuche, rennen gegen Wände, röcheln…. Brabbeln unsinniges Zeug vor sich hin:

1-2-3-oder/und  4: AHHHHHHHHH! ICH WILL ÜBER SO WAS NICHT NACHDENKEN! DAS MACHT MICH IRRE! IHR MACHT MICH IRRE! LIEFERT MICH EIN! SCHALTET DAS AUS! VIEL ZU VIEL! SO ANSTRENGEND! NICHTDENKEN! LEBEN! ICH SCHEISSE MIR VOR ANGST DIE HOSEN VOLL! MIR KOMMT DIE KOTZE HOCH! SO EIN VERSCHISSENER SCHEISSDRECK! STELLT DAS AB!

1: In der Embryonalstellung wippend

2: Beißt sich in die Arme. Blut.

3: Apathisch sitzend.

4: Versucht die Lungen mit Luft zu füllen. Knallt auf den Boden. Anaphylaktischer Schock.

Das Lied verstummt mit dem letzten Akkord. Alle bemerken, dass 4 einen A.S. erlitten haben muss und tot ist.

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by Max-Michael Böhner, finished Nov. '11

Anonymous 1, 2 and 3. Photograph done by Nina Esther Palme.












Dies hat keinen Namen, dies hat einen Sinn

Sie dachte, sie fraß eine Nadel
Und sie fürchtete sich vor den Folgen,
Die niemals einsetzten.

Sie dachte, sie atmete Gift
Und sie fürchtete sich vor den Folgen,
Die sich niemals ergaben.

Sie dachte, sie hatte die Art Angst,
Dass sie drohte, zu zerbrechen,
Aber es war nur die Angst vor den Folgen,
Die niemals eintraten.

Sie hatte Bedenken vor dem Vergessen von etwas,
Was nie gedacht wurde
Und bedachte die Folgen,
Die niemals stattfanden.

Sie fürchtete sich vor dem Alleinsein
Und ward bald glücklich darüber allein zu sein,
Denn sie tötete die Angst
Vor den nicht-existenten Folgen
Und suchte das Glück
In sich selbst.


Nina Esther Palme 
November 2011


photo by Nina Esther Palme